Design auf Kurs in die Mediokrität?
Inspiriert und weitergedacht durch einer meinen letzten Blogbeiträge über Kommunikation, werde ich heute nochmals provokativ:
Design hat eine Identitätskrise
Warum? Wenn es nur noch um laute Sichtbarkeit und Selbstdarstellung geht, ist die Qualität der erste Verlierer – damit gutes Design – wie auch die Menschen, die nicht ständig in die Kamera lächeln. Und das in einer Zeit, in der nur weniger Produkte – und logischerweise mehr Qualitätsprodukte – das Anwachsen weiterer Müllberge verhindern könnten. Man kann ohne Zweifel behaupten, Zurückhaltung im Konsum, in Worten und in der Selbstdarstellung stünde dem Design gut zu Gesicht.
Mittelmaß
Statt dessen zeichnet sich am Horizont ein Boom der Mittelmäßigkeit ab. In vielen Bereichen ist das zu beobachten, aber hier geht es um das Design. Warum? Jeder kann z. B. in einem eintägigen Kurs Design Thinking lernen und glaubt nun, kreativ zu sein und zu wissen, wie Innovation und Produktentwicklung funktionieren. Sinn und Inhalt bleiben auch bei der vermeintlichen Kreativität der KI auf der Strecke. Natürlich bin ich, wie viele andere auch, fasziniert von den Möglichkeiten der KI – nein, meine Texte sind nicht mit ChatGPT geschrieben – und doch bin ich der Überzeugung, dass unsere Natürliche Intelligenz, NI, – oder Biointelligenz, wie sie am Frauenhofer Institut genannt wird – viel umfassender, sinnvoller und nachhaltiger für die Menschheit und die Natur gestalten würde. Warum? Weil jede Technologie, also auch KI, dazu da ist, genutzt zu werden – und nicht nur positiv. Der digitale Rinderwahnsinn (bitte unbedingt lesen) ist bereits Gegenstand der Forschung. Es muss also erlaubt sein, die Frage zu stellen, ob unsere technikaffine Welt uns gerade über den Kopf zu wachsen scheint?
Eine weitere Grundsatzfrage lautet: Ist der Mensch für die Technik oder ist die Technik für den Menschen gemacht? Und was ist mit unserer Umwelt? Braucht die Natur technologische Innovationen? Oder sind es wir, weil wir uns selbst nicht mehr vertrauen, uns von unserer eigenen Möglichkeiten entfernt haben und deswegen lieber technologische Erneuerungen als Retter all unserer Probleme promoten? Und welche langfristigen Einflüsse werden unserer Entscheidungen auf uns und unseren blauen Planeten haben?
creativewashing
In den Texten vieler Unternehmensberatungen, Marketingagenturen oder Führungskräfte-Coachings wimmelt es nur so von Begriffen, die ursprünglich zum Design gehörten. Design Thinking ist nur einer davon. Design, Gestaltung, Kreativität, User-Centered oder Human-Centered sind andere. Aber ähnlich wie Greenwashing, Genderwashing könnte man hier die Begriffe als #Creativewashing, auf jeden Fall als Marketing-Geplapper, bezeichnen. Ein Beispiel? Neulich las ich, dass eine Teamleiter:In Daylight Design Advisors gesucht wird. Dahinter versteckt sich ein Job im Kundenservice und Vertrieb, früher einfach Verkäufer:in genannt. Ob die Integration von „Design“ den Job mit dem Touch des Kreativen aufwerten sollte?
Doch Kreativität ist weit umfassender. Und, Kreativität kann nicht erlernt werden, sondern bedarf des Ent-lernens (mehr dazu in meinem Buch formatio naturalis).
Das Eigentor der Kreativbranche
Leider ist auch unsere Kreativbranche nicht frei von Unübersichtlichkeit. Agenturen protzen mit vermeintlicher Kreativität durch handgeschriebene schwarze Sprüche auf den Toiletten (nein, das ist nicht kreativ) oder fensterlosen Kreativräume, letztere würden jede Ablenkung vermeiden. Das ist leider unvollständig, denn natürliches Licht sollte von oben kommen, wie es im Hamburger Rathaus noch heute der Fall ist. Der Grund dahinter ist ein sehr, sehr alter: Gedanken und Entscheidungen sollen allein mit Gottes Hilfe und frei von allen eigenen weltlichen Bedürfnisse getroffen werden. Aber das nur am Rande.
Auch liebt die Kreativwirtschaft Buzzwords und verwirrt damit Kunden – und sich selbst. War es lange Zeit Design Thinking – die Gründeragentur IDEO wendet sich übrigens davon ab – ist es heute DesignOps. Grund für das neue Wort ist eine Studie der Unternehmensberatung McKinsey. Hier antworteten 90 Prozent der befragten Konzerne, dass sie das Potenzial ihrer Chefdesigner nicht voll ausschöpfen. Begründung: Weil Designer*innen nicht in die Unternehmensstrategie eingebunden sind oder weil die Führungsebene einfach nicht weiß, wozu Designer*innen eigentlich da sind. Die Aufgaben, die sich hinter den Buzzwords verstecken, sind nicht neu – zumindest nicht für seriöse Designer*innen.
Noch ein Beispiel: Co-creation ist ein ähnliches Phänomen, dessen Vorgehensweise so alt ist wie der Designberuf selbst. Die Firmenmanager werden mit in das Kreativ-Team geholt und gemeinsam finde man die Lösung, so zumindest die Behauptung. Das ist nun nicht wirklich neu.
Aus all den Kreativ-Meetings, (wie auch immer sie genannt wurden), an denen ich teilnahm, fehlte es viel zu häufig an kreativen Menschen. Sprich, es fehlte am Mut im Denken, an der Freiheit auch Unsinniges zu sagen, es fehlte die Neugier, sich auch ausserhalb des eigenen Denksystems zu bewegen oder schlicht an der Unfähigkeit Abstraktes zu verstehen, Ansätze weiterzuspinnen und Spaß am Prozess zu haben. Es fehlte am Zuhören und an der Freude am Prozess selbst. Dabei ist Kreativität die Basis von allen Entwicklungen und Innovationen.
Genau hier müsste der Fokus der Transformation liegen, statt bekannte Methoden mit neuen Buzzwords zu belegen. Mit anderen Worten, Mitarbeiter:innen im kreativen Sein zu trainieren, Kreative einzubeziehen und natürlich das Umfeld szu chaffen, dass die Freiheit, die die Kreativität unbedingt benötigt. Holen Sie sich Designer*innen in Ihr Unternehmen! Bauen Sie eine Kreativabteilung auf.
Geld statt Inhalt
Ein weiteres Beispiel sind die vielen Kongresse, die sogenannten Summits, bei denen der Inhalt hinter dem Monetären mehr als deutlich zurücktritt. Ich kenne noch Zeiten, in denen meine Vorträge anständig honoriert wurden, heute verlangt der Veranstalter ein Honorar von mir als Vortragende! Also nicht mein Wissen und meine Expertise sind gefragt, sondern 16.000 € und ich wäre einer der Top-Speaker – welch ein Angebot! Marketing ist alles. Hier verweise ich auf den ersten genannten Punkt. Ist das die Zukunft, die wir wollen? Für mich zählen nach wie vor sinnvolle Inhalte und Ästhetik, eingebettet in die Machbarkeit meiner Kunden und den Herausforderungen unserer Zeit.
Der Kern, das Wesentliche
Eine der wichtigsten Aufgaben im Design ist für mich die Konzentration auf das Wesentliche – übrigens gilt der gleiche Ansatz auch im Coaching – und erst aus diesem Kern heraus können sich Inhalte und Werte manifestieren. Was wiederum die Basis der Marke und Briefing für die Markengestaltung ist, aus der die eventuelle neue Strategie hervorgeht mit einer entsprechenden Begleitung zur Transformation. Das erfordert ein tiefes Verständnis für die Aufgabe, Einfühlungsvermögen und Mut – aber ganz sicher keine Verkäuferqualitäten. Denn gutes Design ist nach wie vor qualitätsgetrieben und lässt das Mittelmaß weit hinter sich.
Gerade in unsicheren Zeiten sind Umsicht und Besonnenheit gefragt, um langfristige Lösungen in neuen und alten Produkten zu finden. Die richtige Idee ist entscheidend. Hier ist nach wie vor die professionelle Designerin richtig platziert. Laute Selbstdarstellung gepaart mit Selbstüberschätzung hilft nicht weiter. Im Gegenteil. Könnte sich hier die Chance für denkende und forschende Männer und Frauen aufmachen?
„Das wäre aus mehreren Gründen wünschenswert: Wenn nicht Lautstärke zählt, sondern Inhalt, sind die Chancen gleich verteilt. Wenn der Alphamann nicht mehr das bevorzugte Rolemodel ist, können auch viele Männer [und Frauen, Anmerkung der Red.] entspannter zu Werke gehen. Und wenn Selbstüberschätzung nicht mehr als Führungsfähigkeit gilt, sind Unternehmen profitabler und krisenfester.“ Liest man im Newsletter von Gabriele Fischer, brandeins
Dem schließe ich mich an.
Sind Sie interessiert an einer Zusammenarbeit? Schreiben Sie mir eine mail info(add)designkunst.com oder rufen Sie mich an unter 040 2369 0894