Schönheit mit Zeichnung von Sybs Bauer

Schönheit – meine Leidenschaft (II)

Im ersten Teil wurde der latent präsente Wettstreit um die Schönheit angesprochen. Dieser Zwist enthält eine Komponente, die es mir scheint, wichtig genug zu sein, nochmals tiefer zu beleuchten. Denn die Frage nach der Schönsten im Lande von Schneewittchens Stiefmutter oder der Kampf um die Schönheit in vielen Kindermärchen und in den griechischen Mythologien, sie alle sind immer nur mit der Anwesenheit einer der sieben Todsünden möglich: dem Neid.

Per Definition liegt Neid dann vor, wenn jemand darauf feindselig reagiert, dass ein anderer das begehrte Gut besitzt, obwohl der dieses Gut rechtmäßig besitzt. Es ist eine Feindseligkeit, die nicht zu rechtfertigen ist, weil sie gegen soziale Normen verstößt – und wird totgeschwiegen.

Die heutige Psychologie unterscheidet zwischen lähmenden, stimulierenden und rechtendem Neid, dem Abstandsneid und Selbstneid (1). Sie weist auch deutlich auf die mannigfaltigen Auswirkungen für das menschliche Miteinander hin, oder besser: das entstehende Gegeneinander. Und doch ist dieses gesellschaftlichen Tabuthema die Strategie hinter vielen Werbespots, der Kommunikationsform unserer Produktivität. Denn, in Wirtschaften von hochentwickelten Konsumgesellschaften geht es nicht darum, Mangel zu beseitigen, sondern in einer Welt des Überflusses Mangel zu erzeugen – und was ginge leichter als das Menschlich-Allzumenschliche einzubinden? Werber wissen seit langem um die Macht der “Invidia”: mehr, größer, kräftiger, schneller; konkurrierender Besitz und Mißgunst erzeugend, das bringe die eigene Glückseligkeit.

Neben dem feindseligen Neid, der Nachbarn trennt und gerichtlich kommunizieren lässt, ist die Förderung des Selbstneides verheerend für das individuelle Wohlgefühl. Hier richtet sich die Aggression gegen das eigene Selbst, weil z.B. körperliche Kraft, Frische und Schönheit im zunehmenden Alter weniger werden. Es ist der Selbstneid auf die eigene Jugend, die die Vergangenheit verklärt.

Ob im Produkt oder in der eigenen Körperlichkeit, klar ist, hier ist Schönheit Besitz, und Besitz Definition des eigenen Selbstwerts.

Obwohl Schönheit meist ausschließlich mit Frauen assoziiert wird, darf nicht vergessen werden, darauf hinzuweisen, dass die berühmteste Verkörperung der Schönheit in der Überlieferung männlich ist: Adonis. Der griechische Mythos spricht von einer abstrakten Schönheit, ohne deren Wesenszug zu nennen. Sie lässt jegliches Abbild und jegliche individuellen männlichen Eigenschaften vermissen, wie z.B. das damals so wichtige Heldentum. Adonis selbst scheint keine eigenen Worte gesprochen zu haben und selbst sein Name ist inhaltslos: “Adonis” bedeutet nur die unpersönliche Anredeform “Herr”. Der Jüngling ist Objekt der Begierde und Besitz, um den die Götter heftigst stritten. Und lange bevor er individuelle Fähigkeiten hätte erwerben können, unterlag er im Kampf mit dem Eber, dem Sinnbild der Sexualität, der ihn angeblich nur zu liebkosen suchte – und starb. Sein Tod ist der Tod der Schönheit selbst. Wird Schönheit erst liebenswürdig, durch fehlende Individualität und Wortlosigkeit? Schadet sie (immer) auch des Trägers bzw. der Trägerin?

Die in diesem Sinne verstandene Schönheit als Besitz und Äußerlichkeit ist damals wie heute ein gewaltiger Auslöser und ist gleichzeitig ein Feind der Liebe. Schönheit ist ein Versprechen und zugleich eine Macht, die dazu neigt, ihr eigenes Versprechen zu vereiteln. In diesem Sinnen ist die Schönheit, die besessen werden will und mit innerer Leerheit verbunden wird, eher der Wolf im Schafspelz.
Die wirkliche Schönheit, die frei von Besitzdenken ist, die Wahrheit suchend und in ihrer eigenen Wahrheit ruhend beschrieb der deutsche Philosoph und Lyriker Otto Julius Bierbaum (auch Martin Möbius) ”Schönheit ist der Sinn der Welt. Schönheit genießen heißt: die Welt verstehen.”

Sich der Schönheit zu öffnen und sie wahrzunehmen – so bin ich überzeugt – ist uns allen möglich. Wohl jede*r kennt den Augenblick, der tief in der Erinnerung verankert liegt, mit einem Lächeln verbunden auftaucht und in sich in unseren Gefühlen über Jahrzehnte trägt. Oder, wer kennt sie nicht die großen und kleinen Geschenke, die von Erinnerungen und Begebenheiten erzählen, so spannend wie Omas Geschichten am Kachelofen. Die Tage voller Erinnerung an die eigene Kindheit, den fröhlichen Sommertagen, Badeszenen, die im Feuer gebratene Wurst oder der Kindergeburtstag. Erlaubten wir uns heute die Rückbesinnung auf diese kindliche Unschuld und aktivierten wir all unsere Sinnesorgane, ließen sich erneut viele flüchtige Momente für eine kleine Ewigkeit wieder einfangen. Die Welt würde dann auf jeden Fall anderes wahrgenommen werden – und vielles wäre leichter und fröhlicher.

Und wenn Ihnen, liebe Leserin und lieber Leser, dieses wissende Lächeln gerade über die Lippen huscht, verharren Sie einfach einen Moment länger als sonst und genießen Sie ihre Freude im Jetzt. Und wenn Sie Ihre schönen Momente, Gedanken und Ihre Freude über schöne Produkte und Geschenke mit anderen noch teilen, bewahren Sie kleine Anekdoten als Souvenirs für spätere Jahre …

In diesem Sinne genießen Sie diese üppige Schönheit dieses Sommers!

(1) “Neidisch sind immer nur die Anderen – Über die Unfähigkeit zufrieden zu sein”, Rolf Haubl
Text: © Sybs Bauer 2007;
Zeichnung: © Sybs Bauer 2018

 

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